ONE SHIFTS BETWEEN SEEING
Thomas Supper
Aaron Amar Bhamra

02.04.22 – 02.06.22


 

Die Intimität des Index

Zwei Wände, zwei Fensterfronten, eine verspiegelte Säule. Zwei Subwoofer, zwei Aluminiumgüsse, ein Sound. Zwei Bilder, zwei Fenster, ein Motiv. Zwei Metallgehäuse, zwei Leuchtstoffröhren, ein Verweis auf einen anderen Ort. Zwei Holzbalken, zwei Halterungen, eine Bank. 16 Aluminiumobjekte, 32 Nägel, ein Bild. Ein Positiv, ein Negativ, ein Abguss.

Im alltäglichen Sprachgebrauch ist ein Index ein systematisches Verzeichnis von Namen, Begriffen oder Gegenständen. Oder es ist ein Zeigefinger, der dich auf eine bestimmte Sache hinweist. Bestenfalls verbindet ein Text wie dieser beide Bedeutungen des Wortes: Bietet einerseits Orientierung und lenkt andererseits die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Motiv. Schau da!
Doch ein Text hat keinen Zeigefinger und selbst wenn, wer bin ich deine Aufmerksamkeit zu lenken? Ich lenke dich ab, wie dein Spiegelbild im Ausstellungsraum, dessen Blick du immer wieder suchst. Zu versuchen deinen Blick zu spiegeln wird mir nicht gelingen, denn Wörter reflektieren nicht – Ausstellungstexte schon, aber zumeist sich selbst. Du musst dir keine Sorgen machen, wir sind alle eitel.

In der Semiotik ist ein Index nach Charles Sanders Peirce ein zweitheitliches Zeichen, dass ohne Beschreibung auf sein Objekt hinweist. Das indexikalische Zeichen und das beschriebene Objekt sind durch Zufall verbunden und durch ihre Beziehung zu Wirklichkeit entzweit. Im Gegensatz zu dem Symbol, dessen Bedeutung durch Konventionen festgeschrieben wird, und dem Ikon, das eine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten hat, ist der Index ein Zeichen, das auf ein Objekt deutet: Das Licht zur Lampe, der Sound zum Subwoofer und das Fenster zum Himmel. Schau da!
Die Bank zeigt zum Bild. Das Bild zeigt die Wand. Die Wand zeigt das Objekt, das nicht mehr Bild ist. Das Objekt ist nicht eins, sondern zwei – ein Positiv und ein Negativ, eine Figur und ein Grund – mal 16 macht 32 (Nägel). Ein Abguss ist ein zweiheitliches Objekt: gespalten in die Präsenz des Geformten und die Absenz der Form, geteilt in die Unmittelbarkeit des Prozesses und den Zufall des Resultats, entzweit in die Intimität der Berührung und die Einsamkeit der Erinnerung.

In der Kunsttheorie ist ein Index ein Fachbegriff für technische Verfahren, bei denen das Werk ein unmittelbarer Abdruck der Welt ist. Das Negativ, das Nicht-Werk, bestimmt die Form und den Inhalt des Positivs, des Werks. Klassische indexikalische Verfahren sind Abgusstechniken, in denen ein formbares Material in einer starre Form gegossen wird. Der Index ist faul und devot: Er unterscheidet nicht zwischen einer mühsam modellierten Form und einem Staubkorn, dass sich im Gussprozess verfängt. So wurde dem Abguss in der Kunstgeschichte lange seine Nähe zur Welt vorgeworfen und er deshalb als zweitrangig und behelfsmäßig gegenüber skulpturalen Verfahren betrachtet. In der modernen Kunst überwiegen indexikalische Verfahren, die sich schwerer als solche zu erkennen geben. Analoge Fotografien und Filmaufnahmen sind Indexe: Das Bild entsteht durch den Abdruck der Wirklichkeit auf dem lichtempfindlichen Material. Auch Readymades sind Indexe, da sich die Realität des Objekts unmittelbar auf die Form und den Inhalt des Werkes überträgt. Der Index ist ehrlich und nicht wählerisch: Die Deckenleuchten wurden vom Bartenbach Lichtsysteme Innsbruck hergestellt (Typ A16, Watt 1x40, Volt: 220/50 ~, Cos: 0,5 C) geprüft von TÜV Bayern (Kontrolle 6), die Subwoofer sind von der Marke JBL. Wählerisch muss dafür die Künstler:in sein ein Objekt auszuwählen, dessen Welthaftigkeit sie zur Kunsthaftigkeit erhebt.

Einen Text wie diesen zu schreiben ist kein indexikalisches Verfahren. Die Ausstellungssituation wird nicht unmittelbar abgebildet, sondern lediglich Hinweise gegeben, wie du dich ihr annähern kannst. Text und Ausstellung können sich sehr nahe kommen, aber nie berühren. Ich kann versuchen dir sehr nahe zu kommen, dich ein bisschen zu verführen, aber die Differenz zwischen dem, was du siehst, und dem, was ich beschreibe, wird sich nie überwinden lassen. Die Intimität des Index ist hingegen differenzlos. Oder, die Differenz zwischen der Form und dem Geformten bleibt unsichtbar, denn die Berührung ereignet sich in einem licht- und luftleeren Raum. Der Index ist die erstickende Nähe zwischen Welt und Werk, die einen Abdruck hinterlässt.

Text: Leonie Huber

www.aaron-amar-bhamra.com

 

 

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